Was zwei in Amtzell untergekommene Ukrainerinnen bewegt und worauf sie hoffen
AMTZELL (sz) - „Ich bin so froh und dankbar, dass mein Kind in Sicherheit ist, dass meine Tochter keinen Bombenalarm und Luftschutzkeller mehr erlebt und sich vor Flugzeugen fürchten muss“, sagt Yana Humenchuk . Sie lebt seit nunmehr drei Monaten in Amtzell, wo ihr Privatleute eine Wohnung zur Verfügung gestellt haben.
Die größte Sorge gilt jedoch ihrem Mann und ihren Eltern, die in Kiew zurückblieben. Humenchuck und Iryna Bershadska, einer weiteren in Amtzell untergekommenen Ukrainerin, berichten, wie sie auf die aktuelle Lage blicken, wie sie Kontakt nach Hause halten und wie ihre Töchter in der Schule zurecht kommen.
Früh morgens telefoniert Humenchuk als erstes mit ihrem Mann, abends ist es das letzte was sie tut, bevor sie zu Bett geht. „Wie ist es Dir ergangen, geht es Dir gut und wann können wir zurück“, fragt sie dann. Oft kommen ihr dabei die Tränen, denn sie sehnt sich zurück nach Hause, nach ihrem „wunderbaren Leben“ in einer freien Ukraine.
Noch immer kann Yana Humenchuk kaum glauben, dass der Krieg über ihr Land kam. „Was will Putin gewinnen, selbst wenn er die ganze Ukraine besetzt“, fragt sie ein wenig ratlos in den Raum hinein. Denn selbst diejenigen, die vor dem Angriff Russlands pro-russisch eingestellt waren, würden Putin oder eine russische Herrschaft heute ablehnen, erzählt die 39-Jährige. „Die Ukrainer hat er schon verloren. Die allermeisten sprechen nur noch ukrainisch, nicht mehr russisch und die allermeisten wollen nicht in einem Polizeistaat wie in Russland leben“, erläutert sie ihre Einschätzung.
Ein hoher Preis für Orientierung nach Europa
Die Entscheidung der Ukrainer für eine Orientierung nach Europa und für Demokratie sei spätestens mit dem Angriffskrieg unumkehrbar. „Aber wir bezahlen einen hohen Preis dafür“, so Humenchuk. „Die Russen haben viele Dörfer und Städte dem Erdboden gleichgemacht und der Donbas wird womöglich das zweite Mariupol“, befürchtet die 39-Jährige.
Wie Yana Humenchuk ist auch Iryna Bershadska mit ihrer zwölfjährigen Tochter, zwei T-Shirts und einer Jeans nach Deutschland und direkt nach Amtzell geflohen. „Wir haben gehofft, dass wir Ostern schon wieder zurück sind in der Ukraine, dass der Krieg nicht lange dauern wird“, so die 48-Jährige.
„Jetzt höre ich oft, dass der Westen es Putin ermöglichen muss, sein Gesicht zu wahren. Wie soll das gehen bei all den Toten, die es schon gab? Ich finde, es muss jetzt darum gehen, Menschenleben in der Ukraine zu retten.“
Frauen erhoffen sich baldige Rückkehr
Die beiden Frauen, die in Amtzell Freundinnen geworden sind, zieht es nach Hause. „Am Ende des Sommers – spätestens“, so hoffen sie inständig. Beide betrieben in Kiew jeweils ein kleines Unternehmen, die eine als Produzentin handgefertigter Schuhe, die andere als Besitzerin eines Kleiderladens für Kinder.
Alles weg, geschlossen nach täglichen Raketenangriffen, wackelnden Wänden und Kampfflugzeugen über den Köpfen. „Wenn wir nach Hause kommen, müssen wir zuerst unser Land wieder aufbauen. Wir vertrauen darauf, dass uns das gelingen wird.“
Wieder kommen den beiden Frauen die Tränen, wenn sie erzählen, dass sie in Amtzell „wie Freunde oder Verwandte“ aufgenommen wurden. „Dafür sagen wir ein großes Dankeschön“.
Das Netzwerk „Amtzell lässt niemand allein“ (Alna) und H.O.P.E. in Wangen unterstützen die Geflüchteten mit allem, was sie brauchen: Unterkünfte, Gegenstände des täglichen Bedarfs, Integrationskurse oder Hilfe bei der Bewältigung der Bürokratie.
"Unsere Töchter gehen hier gemeinsam zur Schule und verstehen schon ein bisschen deutsch. Die Lehrer sind so toll und übersetzen für sie auch mal ins Englische, damit sie folgen können. Und die Klassenkameraden haben eine eigene Chatgruppe auf Englisch eingerichtet“.
Trotz dieses warmen Empfangs, zieht es auch die Töchter der beiden Frauen nach Hause. „Sie weinen, wenn sie hören, dass andere Ukrainer wieder zurückgehen“. Die beiden Frauen erinnern sich schmerzhaft, wie lange es dauerte, bis ihre Töchter nicht mehr bange in den Himmel blickten wenn sie Flugzeuge hörten und befürchteten, es könnten wieder Bomber kommen.
„Unsere größten Wünsche sind einfach und doch so schwierig geworden“, sagt Yana Humenchuk, „Frieden und Sicherheit für unsere Liebsten“. Ihre größte Sorge ist, dass ihre Hoffnungen sich nicht, oder zumindest nicht so schnell, erfüllen. „Und dass mein Mann auch noch zu den kämpfenden Truppen gerufen wird“. Iryna Bershadska ergänzt: „Wir wollen, dass Putin nach Hause geht und unser Land in Ruhe lässt. Dann können auch wir und unsere Kinder wieder nach Hause, denn dort ist unser Leben.“